Vorgeschichte

Das Museum litt seit seiner Unterbringung in der Moritzburg unter Raumnot und ästhetisch wie funktional ungenügenden Ausstellungsmöglichkeiten. Wichtige Sammlungsbereiche, etwa die Malerei des 19. Jahrhunderts oder der deutsche Spätimpressionismus, konnten immer nur im Wechsel und meist nur kurzzeitig ausgestellt werden. Selbst aus dem bedeutenden Bestand der Klassischen Moderne waren aus Platzmangel nie alle Werke zu sehen. Sonderausstellungen fanden in der ehemaligen Turnhalle und einem Gewölberaum statt. Nach der Wende wurde die Rückständigkeit des Hauses immer deutlicher. Sie wirkte sich negativ auf die öffentliche Wahrnehmung und hemmend auf die Entwicklung der Sammlung aus. Als sich im Frühjahr 2001 die Möglichkeit bot, die Sammlung Hermann Gerlinger an das Haus zu binden, war schnell ersichtlich, dass dies nur mit einer Erweiterung der Ausstellungsflächen möglich sein würde. Auch zeichnete sich ab, dass das Museum zwingend den üblichen Museumsstandards angepasst werden musste, wollte es sich in der Museumslandschaft behaupten und entwickeln.

Auslobung des Wettbewerbs

Ende 2003 wurde daher ein internationaler Architektenwettbewerb für die Erweiterung des Museums in der Moritzburg ausgeschrieben. Die Wettbewerbsaufgabe bestand im Um- und Ausbau des Nord- und Westflügels, mit dem Ziel, erweiterte und verbesserte Ausstellungsmöglichkeiten für die Bestände des Museums sowie für Sonderausstellungen zu schaffen. Die neuen Ausstellungsbereiche sollten sich mit den Gewölben des Westflügels und dem Talamt im Südflügel zu einem Rundgang verbinden. Außerdem war ein zentraler Eingangsbereich mit großzügigen Serviceflächen für Kasse, Information, Museumsshop und Café zu schaffen. Des Weiteren sollte für die Anlieferung der Kunst eine neue, musealen Standards gemäße Lösung gefunden werden.
Auf die Ausschreibung des Wettbewerbs gingen insgesamt 300 Bewerbungen ein. 20 Architekten, darunter renommierte, aber auch junge Büros aus Deutschland und Europa, wurden ausgewählt; hinzu kamen sieben gesetzte Architekten. Am 11. Juni 2004 tagte unter Leitung des Kölner Architekten Peter Kulka die Jury, der namhafte deutsche Architekten angehörten, und wählte die Preisträger aus. Sie wurden am 16. Juni 2004 in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt; damit verbunden war eine dreiwöchige Ausstellung aller Wettbewerbsentwürfe im Gotischen Gewölbe der Moritzburg. Im August 2004 wurde mit der Planung des Ausbaus begonnen. Den ersten Preis gewann das spanische Architektenpaar Fuensanta Nieto und Enrique Sobejano. Sie erhielten den Zuspruch, weil ihre Entwurfsidee den historischen Bestand der Moritzburg optimal für die Museumszwecke nutzt, dennoch aber das alte Bauwerk in seiner Anlage und Wirkung achtet. Den zweiten Preis gewann Gernot Schulz aus Köln, der dritte Preis ging an das Leipziger Architekturbüro Ansgar und Benedikt Schulz, ein vierter und fünfter Preis wurde Georg Konermann und Ingo Siegmund aus Hamburg sowie PLASMA Studio aus London zugesprochen.

 

bauherr und Finanzierung

Der Wettbewerb wurde 2003 durch eine Zuwendung der damaligen Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Staatsministerin Christina Weiss ermöglicht. Das Bauvorhaben wurde aus Mitteln der EU, des Bundes und des Landes Sachsen-Anhalt finanziert. Die ZEIT-Stiftung förderte die Ausstattung des Ausstellungsbereichs für die Sammlung Hermann Gerlinger.

 

Der neue Ausstellungsflügel der Moritzburg

Der Entwurf von Nieto Sobejano basiert auf einer ebenso einfachen wie raffinierten architektonischen Idee: West- und Nordflügel der Burg werden durch ein von Oberlichtern plastisch geformtes, mit Aluminium gedecktes Dach zusammengebunden, das sich wie eine unregelmäßig gefaltete Plattform hebt und senkt, dabei aber über der Mauerkrone flach zurückweicht. So tritt zu den historischen Baustilen und -formen aus den verschiedenen Epochen in der Moritzburg die Moderne hinzu, markiert von der modernen Dachlandschaft, die auf die bewegte Sprache der bestehenden historischen Satteldächer und Giebel antwortet und zum Zeichen des neuen Museums wird. West- und Nordflügel der Moritzburg werden in ihrer gesamten Ausdehnung als große Raumformen innerhalb der alten Bausubstanz belassen. Die Obergeschosse der Ausstellungsräume sind als weiße Boxen von der Dachkonstruktion abgehängt und über eine Galerie entlang der Außermauern zu erreichen. Sie füllen die Geschossebenen nicht voll aus, so dass neben ihnen zweigeschossige Großräume von überwältigenden Dimensionen entstehen. Im Westflügel sind die Außenmauern der Burg steinsichtig belassen und halten als historische Gebäudehülle die Erinnerung an die ehemalige Ruine wach. Mit dieser Gestaltung entsteht ein spannungsreiches Wechselspiel kleiner und großer, moderner und historischer Räume. Die architektonischen Mittel der Moderne bleiben selbständig und treten mit dem historischen Bau in einen spannenden Dialog. Von den Galerien eröffnen sich faszinierende Ausblicke auf die Stadt, das alte Halle mit seinen fünf Türmen wie auch auf Halle-Neustadt mit seinen Plattenbauten.

Der Eingang zum Museum ist in der nordwestlichen Ecke des Innenhofes platziert. Er ist als vorgesetztes Bauwerk in der Architektursprache des Daches ausgebildet und ebenfalls mit Aluminium verkleidet. Schon auf den ersten Blick hebt er sich beim Betreten des Hofes als Haupteingang von den vielen Nebeneingängen der Burg ab. Im Erdgeschoss des Nordflügels befinden sich das Foyer mit Kasse und Garderobe, der Museumsshop und das Museumscafé mit Freisitz im Hof, das Treppenhaus mit Fahrstuhl. In dem Gewölbe des Untergeschosses sind Toiletten und Schließfächer untergebracht. Die gestalterische Idee der Box kehrt im Kassenraum wieder, welcher als Segment abgetrennt werden kann, und im Sanitärbereich, der als Quader in den Gewölberaum des Untergeschosses eingestellt ist. Alle neuen Bauelemente wurden in derselben abstrakten Formsprache ausgebildet. Außen sind sie mit Aluminium verkleidet und durch eine Fuge vom Bestand getrennt, innen durch ihre Verkleidung mit weißen Gipskartonwänden oder Zementfaserplatten von der historischen Gebäudehülle abgesetzt.

Ein alle Ebenen verbindendes Treppenhaus, das an der Nahtstelle zwischen Nord- und Westflügel eingefügt ist, ermöglicht den Rundgang vom Nordflügel durch den Westflügel zum südlichen Talamt und anschließendem Wehrgang vom Eingangsfoyer ausgehend. Die Kunstanlieferung erfolgt über einen Treppenturm mit Lastenaufzug an der Stelle des zerstörten Südwestturms, der wiederum die Form des Daches aufgreift und von der Burgmauer abgerückt ist. Unter Einbeziehung von Nord- und Westflügel wird für das Museum eine zusätzliche Ausstellungsfläche von über 2000m² hinzugewonnen, davon 1500m² für Dauerausstellungen und 600m² für Sonderausstellungen sowie 400m² für Servicebereiche. Mit Verkehrs- und Funktionsflächen sowie Technikräumen bemisst sich die gesamte Nutzfläche auf 4000m².

Die Architekten Nieto Sobejano haben in ihrem Projekt einen spannenden Dialog zwischen der vorhandenen Burganlage und der neuen Architektur initiiert, der Reminiszenzen an die Malerei des Expressionismus und die Formenwelt Lyonel Feiningers ebenso beinhaltet wie er dem historischen Baubestand mit Respekt begegnet. West- und Nordflügel, die einst die Repräsentationsräume und Wohngemächer der Magdeburger Erzbischöfe beherbergten, sind in ihrem Entwurf wieder zu einer Einheit zusammen gezogen und haben etwas von ihrer ursprünglichen monumentalen Wirkung zurück gewonnen. So gelingt es, den Ort und seine abwechslungsreiche Geschichte künstlerisch in die Gegenwart zu übersetzen. Die neuen Bauelemente der Moritzburg stehen für die Erneuerung des Museums und symbolisieren seine Einbindung ins 21. Jahrhundert.

Weitere Informationen zum Umbau Nord- und Westflügel:
www.moritzburg-halle.de
www.nietosobejano.com

Entwurfsmodell, Ansicht von Nordwest
Entwurfsmodell, Ansicht von Nordwest
Entwurfspräsentation, von links nach rechts: Katja Schneider (Direktorin), Jan-Hendrik Olbertz (Kultusminister), Nina Nolting (Architektin), Fuensanta Nieto und Enrique Sobejano (Architekten)
Entwurfspräsentation, von links nach rechts: Katja Schneider (Direktorin), Jan-Hendrik Olbertz (Kultusminister), Nina Nolting (Architektin), Fuensanta Nieto und Enrique Sobejano (Architekten)
Visualisierung der Galerie über dem Sonderausstellungsbereich im Nordflügel
Visualisierung der Galerie über dem Sonderausstellungsbereich im Nordflügel
Visualisierung des Westflügels
Visualisierung des Westflügels
Dachlandschaft über dem Nordflügel
Dachlandschaft über dem Nordflügel
Westflügel vor der Einrichtung
Westflügel vor der Einrichtung
Oberlicht über dem Westflügel
Oberlicht über dem Westflügel
Galerie im Westflügel
Galerie im Westflügel