22.11.2013 | 06.01.2014 | Zum 200. Todestag von Johann Christian Reil | Kabinett Moderne Zwei
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Reizen. Ein experimenteller Film von Dagmar Varady
Der hallesche Mediziner Johann Christian Reil (1759–1813) zählt zu den Pionieren der Hirnforschung und der Psychiatrie. Vor dem Hintergrund der Aufklärung und der romantischen Naturphilosophie setzte er sich mit Möglichkeiten ganzheitlicher Heilmethoden auseinander, wobei er von der Einheit von Körper und Seele ausging: „Krankheiten der Seele erregen körperliche, körperliche bringen Seelenkrankheiten hervor.“ Als Mediziner sah er sich vor die Aufgabe gestellt, die als Krankheit erscheinende gestörte Balance aller in einem Organismus wirkenden Kräfte durch die gezielte Einwirkung verschiedenartiger Reize wieder herzustellen. Seine Überlegungen dazu hielt er in seiner Schrift „Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen“ (1803) fest.
Von dieser Schrift inspiriert, geht Dagmar Varady in ihrem Film „Reizen“ in das Wörlitzer Gartenreich, das als Modell einer harmonischen Einheit von Natur und Kultur auf seine ästhetischen Wahrnehmungsqualitäten hin betrachtet wird. Der auf die Sinneswahrnehmung konzentrierten Kamera werden Textauszüge aus Reils „Rhapsodieen“, gesprochen von Jutta Hoffmann, rhythmisch entgegengestellt. Zwischen der Sinneswahrnehmung durch die Kamera und dem Denken des Naturforschers Reil eröffnet der Film den Spannungsbogen von Verstehen und Fühlen.
Von zeitgenössischen Künstlern bearbeitete Reprints historischer Ansichten des Wörlitzer Landschaftsparks – Richard Long, Ludger Gerdes, Wolfgang Müller und Antonio Murado – treten in den Dialog mit dem Film. Das auf Ganzheitlichkeit orientierte Weltbild der Romantik wird auf noch heute relevante Anschauungen hin befragt.
Die Kabinett-Ausstellung ist ein Prolog für eine 2015 in der Stiftung Moritzburg Halle (Saale) geplante zeitgenössische Ausstellung „Das geheimnisvolle Organ – Denken als Kunst“ mit internationalen Positionen und Teil des Ausstellungs-Zyklus „Das geheimnisvolle Organ – Die Vorstellungen über Hirn und Seele von Johann Christian Reil bis heute“ im Universitäts-Museum der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und im Kunstforum der Saale-Sparkasse (22.11.2013 – 20.2.2014). Es erscheint ein Katalog.
Der Film wurde gefördert von Lotto-Toto Sachsen-Anhalt, dem Förderkreis der Stiftung Moritzburg Halle (Saale), der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt, der Gesellschaft der Freunde des Wörlitzer Gartenreichs, der Universitätsklinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, dem MVZ Strahlentherapiezentrum Halle und privaten Sponsoren.
Eröffnung am 21.11.2013, 17 Uhr, mit einer Lesung der Schauspielerin Jutta Hoffmann