09.06.2013 | 01.09.2013 | Ausstellung
Der Berliner Skulpturenfund
"Entartete Kunst" im Bombenschutt
Bei archäologischen Grabungen im Vorfeld von Bauarbeiten an der Berliner U-Bahn wurden 2010 sechzehn Skulpturen gefunden. Sie waren bei der 1937 in Museen und Sammlungen gegen die Kunst der Moderne gerichteten Aktion „Entartete Kunst“ beschlagnahmt und schließlich 1942 im Haus Königstraße 50 (heute Rathausstraße) gegenüber vom Roten Rathaus eingelagert worden. Bei der Bombardierung Berlins versanken sie unter dem Schutt des Hauses im Boden.
„Selten lässt sich Archäologie als so aufregend und gegenwartsnah erleben wie bei dieser Ausgrabung mitten im Herzen der deutschen Hauptstadt. […] was diesmal zu Tage gefördert wurde, war spektakulär – einerseits im Hinblick auf die wieder gefundenen Werke, andererseits in Bezug auf die damit verbundenen Erkenntnisse“, heißt es im Vorwort des Tagungsbandes, der sich ausführlich der Entdeckung und Identifizierung der von ihrem Schicksal gezeichneten Werke, ihrer Einordnung in die kunsthistorischen Zusammenhänge und den Sammlungen widmet, die von der Aktion „Entartete Kunst“ betroffen waren. In ihrem Zustand – bis zur Unkenntlichkeit verschmutzt, angefressen von der Hitze des Bombenbrandes, teilweise zerstört und nach ihrer Bergung restauriert, ohne die Spuren der Ereignisse, denen sie ausgesetzt waren zu vertuschen – wirken sie wie Sinnbilder der sinnlosen Zerstörung und des Verlustes, den der Nationalsozialismus nicht nur für die Werke der Moderne und die Museen bedeutet hat.
Mit dem Schicksal der Skulpturen ist ebenso das Schicksal der Künstler verbunden, die sie geschaffen und das Schicksal der Museumsleute, die sie für die modernen Sammlungen erworben haben. Bisher wurde die Aktion „Entartete Kunst“ vor allem anhand der in größerem Umfang konfiszierten Gemälde und Arbeiten auf Papier betrachtet. Mit dem Skulpturenfund rücken nun zum ersten Mal Werke der Bildhauerei in den Fokus. Obwohl Skulpturen nicht im gleichen Umfang beschlagnahmt wurden, waren auch sie bei den „entarteten“ Kunstwerken mit vertreten.
In Halle blieben die Skulpturen aus dem Umfeld des Expressionismus, die bereits Max Sauerlandt für die moderne Sammlung erworben hatte, dem Museum durch glückliche Umstände erhalten und konnten in den 1950er und 1960er Jahren noch durch Ankäufe ergänzt werden. Werke von Bildhauern, die als „entartet“ galten und deren Arbeiten auch im Skulpturenfund vertreten sind, konnten in der Moritzburg bewahrt werden, etwa die kostbare Gruppe der Skulpturen von Wilhelm Lehmbruck oder die Tierbronzen von Franz Marc. Max Sauerlandts Schützling Gustav Heinrich Wolff, mit zwei Werken bei dem Berliner Skulpturenfund vertreten, schuf 1926/27 im Auftrag der Stadt Halle zwei monumentale Portalskulpturen für den Verwaltungsbau des Trothaer Kraftwerks, die sich heute in der Moritzburg befinden. Die Steinfiguren waren 1936 bei Umbauarbeiten entfernt und im 2. gotischen Gewölbe der Moritzburg eingemauert worden, 1963 wurden sie freigelegt und sind seitdem ausgestellt. Das ebenfalls in Berlin in Bruchstücken gefundene „Sitzende Mädchen I“ (1913) von Will Lammert gibt es in der Moritzburg als Bronze, 1966 ermöglichte die Familie des Künstlers dem Museum einen Nachguss. Auch von Karl Knappe, dessen Bronzefigur „Hagar“ (1923) zum Berliner Skulpturenfund gehört, bewahrt die Moritzburg eine kleine, aber bemerkenswerte Arbeit: eine farbig getönte Porträtbüste (1921), mit großer Wahrscheinlichkeit ein Porträt der Hildegard von Veltheim, Gattin des in Ostrau lebenden Grafen Hans Hasso von Veltheim, der Karl Knappe wohl aus seiner Zeit in München kannte und ihm zeitweise freundschaftlich verbunden war.
Wenn also der Berliner Skulpturenfund auch keine Werke aus dem Moritzburg-Museum enthält, so ist er doch durch die Künstlernamen und das Schicksal der Werke mit dem Schicksal der Sammlung unseres Museums eng verbunden und wirft – nicht nur als Dokumentation, sondern anschaulich und greifbar – ein erhellendes Licht auf ein schmerzliches Kapitel der Sammlungsgeschichte der Moritzburg und darüber hinaus auf deutsche Kulturgeschichte.
Eine Ausstellung der Staatlichen Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte, im Rahmen des Föderalen Programms der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, kuratiert von Prof. Dr. Matthias Wemhoff und Dr. Marion Bertram, Museum für Vor- und Frühgeschichte; für die Stiftung Moritzburg Halle kuratiert von Cornelia Wieg.