Das Talamt als neues Kunstgewerbemuseum
Für den Südflügel der Moritzburg sah man um 1900 eine neue Nutzung vor: Hier sollte das Städtische Museum seinen Platz finden. So entstand an der Stelle eines maroden Wirtschaftsgebäudes eine Replik des alten „Thalhauses“, dem Amtsgebäude der Pfänner und Halloren, das 1882 unterhalb der Marienkirche abgerissen, dessen wertvolle Ausstattung aber aufbewahrt worden war. Die Bauformen des schönen Renaissancegebäudes wurde der spätgotischen Moritzburg angepasst. Dieses Kleinod im Stile der Neorenaissance, das bis heute den Namen „Talamt“ führt, wurde 1904 als Kunstgewerbemuseum eröffnet. Zu den originalen historischen Repräsentationsräumen der Halloren, dem Festzimmer und dem Gerichtszimmer, gesellten sich als Spolien noch Portale, Beschläge und Zimmerdecken aus halleschen Patrizierhäusern, die durch eine stark farbige, der Renaissance nachempfundene Ausmalung zu einem einheitlichen Raumeindruck verbunden wurden.
Für den ersten professionellen Direktor des Museums, Max Sauerlandt, der 1908 nach Halle kam, war dieses Gebäude äußerst schwer zu bespielen. Er betrieb vehement eine Erweiterung des Museums, bis hin zum Bau einer eigenständigen Gemäldegalerie und der Umwidmung der Moritzburg zum Stadtmuseum. Seine weitsichtigen Pläne kamen im Ersten Weltkrieg jedoch zum Erliegen. Von 1911 bis 1913 wurden der Wehrgang und der Kuppelsaal als Erweiterung des Museums in der Moritzburg errichtet, in Form und Farbe beruhigter als das Talamt, jedoch immer noch historisierend mit Stuckdecken und einer dem Pantheon nachempfundenen Kuppel. In den gotischen Gewölben des Westflügels war nach wie vor ein „Denkmalkeller“ untergebracht, in dem erhaltenswerte Architekturteile bedeutender hallescher Gebäude sichergestellt wurden. In diesem räumlich und inhaltlich engmaschigen Spannungsfeld gelang unter Max Sauerlandt und seinem Nachfolger Alois Schardt die Verdichtung der historischen Sammlungsbestände und der Aufbau einer modernen Kunstsammlung, die die Moritzburg in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in die erste Liga der deutschen Museumswelt aufrücken ließ. Die nationalsozialistische Kulturpolitik zerstörte die Sammlung fast vollständig und verhinderte jede weitere bauliche Entwicklung des Museums.
Von 1945 bis zur Wende
1954 wurden die Gotischen Gewölbe des Westflügels erschlossen und als „größtes Souterrain-Museum der DDR“ mit einer Ausstellung mittelalterlicher Sakralkunst eröffnet. Ein Jahr später konnte in der darüber liegenden so genannten Westruine, die von den historistischen Einbauten nicht erfasst worden war, ein Freilichtmuseum für Plastik eingerichtet werden.
In den ersten Nachkriegsjahren suchte das Museum an die Blütezeit vor 1933 anzuknüpfen und holte zahlreiche Werke der klassischen Moderne ins Haus zurück. Zunehmend behinderten jedoch die kulturpolitischen Restriktionen eine offene Entwicklung der Sammlungen und warfen das Haus auf sich selbst und die Pflege der Kunst der DDR zurück.
Gezielt versuchte man, die Moritzburg in diesen Jahren zu einem Kulturzentrum auszubauen. In den unteren Gewölben des Westflügels etablierte sich 1964 ein exklusiver Weinkeller und 1967 das so genannte Fernsehtheater für Berichterstattungen, Serienfilme und Volkstheateraufzeichnungen. 1971 zog in den Vortragssaal des Museums das Kabarett „Die Kiebitzensteiner“ ein. 1972 wurde die Nordostbastion für den Studentenclub „Turm“ ausgebaut. Bis zur Wende 1989 blieben diese Nutzungen sowie die des Sportinstitutes im Nordflügel bestehen. Dann verließen alle Mieter sukzessive die Moritzburg, so dass dem Museum plötzlich ganz neue Dimensionen an Flächen für Ausstellungen, Depots und Mitarbeiterräume zur Verfügung standen. Die Räume jedoch waren verschlissen und konnten mit provisorischen Maßnahmen nur höchst unzureichend hergerichtet werden. Erschwerend für das Zusammenspiel der Abteilungen im Museum wirkten sich die getrennten Zugänge zum Süd-, West- und Nordflügel aus.
Als um die Jahrtausendwende das Talamt saniert wurde, zeichnete sich ab, dass die bauzeitlichen und historistischen Räume nicht für die Präsentation aller Werkgruppen geeignet sind. Für die Bestände des 19. Jahrhunderts und kunsthandwerkliche Objekte geben sie einen guten Rahmen ab, nicht jedoch für die Dimensionen zeitgenössischer Kunstwerke oder die klassische Moderne. Ein Museumsneubau stand außer Frage, eine Erweiterung des Museums durch den Aus- und Umbau des Westflügels lag auf der Hand.
Die Hoffassaden erscheinen mit den spätgotischen und Renaissanceformen im Westen und Norden, dem barocken Lazarettgebäude im Osten und dem historistischen Talamt mit Wehrgang im Süden als eine Collage verschiedenster Stilepochen des 15. bis 20. Jahrhunderts. Diese erfuhren nun eine Erweiterung in der Architektursprache des 21. Jahrhunderts.